Immer online und doch nicht erreichbar

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Viele Menschen scheinen mit ihren Smartphones eine symbiotische Verbindung eingegangen zu sein. Man könnte hin und wieder den Eindruck haben, dass die kleinen Brettchen mit den abgerundeten Kanten längst ein Teil des Körpers geworden sind. Lässt sich daraus der Schluss ziehen, dass Menschen, die permanent das Mobiltelefon in der Hand führen, leicht telefonisch erreichbar sind? Um es vorwegzunehmen. Dies ist möglich. Aber nicht zwangsläufig. Das hat mehrere Gründe:

Die österreichischen Zahlen bestätigen den Trend: Seit dem Höhepunkt der Sprachtelefonie im Jahr 2012 nahmen die vertelefonierten Minuten mit dem Mobiltelefon laut Rundfunk- und Telekom-Regulierungs-GmbH (RTR) ab, seit 2017 gibt es einen leichten Aufwärtstrend. Dramatischer ist der Rückgang bei den versendeten SMS, während sich das Datenvolumen vervielfacht hat. Inmitten von WhatsApp, Snapchat, Facebook oder Skype ist die Telefon-Applikation zu einem unbedeutenden Nebendarsteller verkommen.

Kurier 28. 8. 2018 (Quelle)

Anders formuliert: Die Smartphonenutzung steigt. Dies ist jedoch nicht der Telefonie geschuldet, sondern den zahlreichen anderen Diensten, die es gibt. Mit anderen Worten: Die Kommunikation verschiebt sich von der Telefonie hin zu den Messengern.

Telefonische Erreichbarkeit bei Millennials…

Bei Jugendlichen ist dieses Phänomen ebenfalls zu beobachten. Vor allem die Millennials (Jugendliche und junge Erwachsene, die um das Jahr 2000 geboren wurden) haben ein etwas anderes Telefonverhalten erlernt. Sie haben deutlich weniger mit dem Festnetz und den damit verbundenen Regelwerken zu tun. Vor allem Menschen, die den Umgang mit dem Festnetz noch erlernt haben, wissen, dass ein möglichst zeitnaher Rückruf eine Art Gebot ist. Erreichbarkeit scheint ein wichtiges Gut.

Bei der jungen Generation ist dies anders. Barbara Buchegger von saferinternet.at vertritt sogar die Meinung, dass Jugendliche besser mit dem Smartphone umgehen als Erwachsene und sich besser distanzieren können.

„Für diese Generation ist das Smartphone fast wie ein Kugelschreiber, etwas, was man gebraucht. Im Unterschied zu ihren Eltern können sie sich leichter abgrenzen, sie möchten auch nicht immer erreichbar sein, während ihre Eltern da richtig hineinkippen, oft privat und beruflich nicht mehr trennen können.“

Barbara Buchegger (Quelle)

Junge Menschen, die quasi mit Internet und Smartphone aufgewachsen sind, empfinden die Nichtbeantwortung von Anrufen daher eher als „normal“. Nicht jeden Anruf annehmen zu müssen, gibt ihnen das Gefühl der Kontrolle und der Selbstbestimmung. Aber auch ganz praktische Gründe spielen eine Rolle. Da in vielen Schulen ein Handyverbot herrscht und um eine gewisse Privatsphäre zu haben, werden „Gespräche“ gerne ins Schriftliche verlegt.

Auch sind Millennials die Regeln des Business-Knigges mit hoher Wahrscheinlichkeit unbekannt. So raten Anke Quittschau und Christina Tabernig in ihrem Buch „Business-Knigge. Die 100 wichtigsten Benimmregeln“ aus dem Jahr 2007 dazu, dass man auf jeden Fall den Anruf nicht wegdrücken solle. Es gälte das Gespräch kurz anzunehmen und einen Rückruf zu vereinbaren. Heute wird dies durch automatische Antwort-SMS im Stile von „Ich bin in einer Besprechung. Ich rufe Sie zurück.“ sehr einfach und schnell erledigt.

Gerade das letzte Beispiel zeigt, dass die schriftliche Kommunikation – also auch per SMS – Distanz zulässt. Man muss sich weniger mit den Emotionen des Gegenübers auseinandersetzen. Die Kommunikation wird sehr auf das Wesentliche reduziert und sehr vereinfacht. Auch das scheint mir wichtig. Dies bestätigt eine Studie aus Deutschland.

Philippe Wampfler, Medienpädagoge und Dozent an der Uni Zürich, beschreibt die Veränderung so: „Früher hatte man drei Möglichkeiten, wenn man sich den Rasenmäher des Nachbarn ausleihen wollte: telefonieren, einen Brief schreiben oder rübergehen. Heute schreibt man schnell eine WhatsApp. Das ist der Weg des geringsten Widerstands.“

Nach der JIM-Studie 2018 – JIM steht für Jugend, Information Medien – tauschen sich 95 Prozent der Jugendlichen zwischen 12 und 19 Jahren in Deutschland regelmäßig allein über diese Kommunikationsplattform aus – im Schnitt erhalten sie 36 Nachrichten pro Tag. Nur jeder Fünfte nutzte täglich noch das Smartphone zum Telefonieren.

„Ich denke, Menschen hatten auch früher Hemmungen, jemanden anzurufen“, meint Medienpädagoge Wampfler. „Aber nach der Schulzeit oder dem Studium und im Job haben sie gelernt, zu telefonieren. Einfach, weil sie es mussten. Das geht heute angenehmer.“

Berliner Zeitung, 21. 02. 2020 (Quelle)

Telefonieren im Bewerbungsprozess

Wie ist das Telefonverhalten nun im Bewerbungsprozess? Prototypisch läuft es wie folgt ab: Ein Kandidat oder eine Kandidatin bewirbt sich. Der telefonische Kontakt ist meist leicht herzustellen. Ist der Bewerber oder die Bewerberin nicht erreichbar, ruft er oder sie meistens zurück. Oder zumindest sehr oft. Ausnahmen bestätigen natürlich die Regel. Die Rückrufe erfolgen meist innerhalb eines Tages. In etlichen Knigge-Darstellungen lesen wir, dass ein Rückruf in angemessener Zeit erfolgen soll. Ich denke, dass innerhalb eines Tages akzeptabel ist und auch so praktiziert wird.

Bei kaufmännischem Personal erfolgt der Telefonkontakt stringenter und schneller als bei gewerblichen Kandidat*innen. Das ist zumindest mein persönlicher Eindruck. Die Rückrufe erfolgen auch meist in den klassischen Geschäftszeiten.

Lehrlingsprojekt mit interessanten (Zwischen)Ergebnissen

Für ein großes Gebäudetechnikunternehmen führe ich zusammen mit meiner Kollegin das Recruiting durch. Seit Dezember haben sich über 200 junge Menschen beworben. Das Interessante: Während des Lockdowns waren die Bewerber*innen durchaus sehr gut telefonisch erreichbar. Der Grund ist einfach: „Lockdown“. Die meisten Lehrlingsbewerber*innen waren zu Hause und ein Anruf konnte da schon mal eine willkommene Abwechslung zum Distance Learning sein. Viele waren daher sogar gleich beim ersten Anruf erreichbar. Seit der Lockdown am 8. Februar 2021 wieder gelockert wurde und die Schulen wieder aufgesperrt haben, sinkt die Erreichbarkeit der Lehrlingskandidat*innen. Der Grund ist einfach: Die Bewerber*innen sind wieder im Präsenzunterricht und das Telefonverhalten ändert sich dadurch deutlich.

Die Teilnehmer*innen sind nicht mehr so leicht erreichbar. Die Mobilbox wird oft auch nicht abgehört. Sehr oft hat man nicht einmal die Möglichkeit eine Nachricht zu hinterlassen, da man lediglich die Nachricht bekommt, dass der oder die Angerufene nicht erreichbar ist. Auch wenn man seine Nummer mitschickt; Rückrufe bleiben öfters aus oder erfolgen Tage später.

Es kann auch passieren, dass ein Rückruf außerhalb der Geschäftszeiten erfolgt. Vielen ist nicht bewusst, dass man geschäftlich nach 17.00 Uhr kaum jemanden telefonisch erreicht…

Während es im Businessalltag durchaus üblich ist, einen nicht angenommenen Anruf mit einer SMS zu beantworten („Ich rufe Sie zurück…“), kommt dies bei den Millennials so gut wie gar nicht zum Tragen. Die Kommunikation per Telefon ist also nicht so einfach und man braucht Geduld.

Auch kommt es vor, dass man überhaupt keine Telefonnummer auf dem Lebenslauf findet – und dies deutlich mehr öfter als bei Erwachsenen. Ich kenne dies eigentlich nur von Führungskräften, die sich verdeckt bewerben. Hier ist dann eine Kontaktaufnahme per Mail notwendig.

Mit anderen Worten: Die Umstände beeinflussen das Telefonverhalten deutlich. Die Tatsache einer Bewerbung führt nicht automatisch zu einer höheren Erreichbarkeit. Neben Geduld sollte man es daher über mehrere Kanäle probieren. Allerdings muss auch klar sein. Akkurates Telefonverhalten ist auch Teil des Berufslebens. Jungen Kandidat*innen kann man da schon ein wenig mehr Freiraum einräumen als Bewerber*innen, die im Berufsleben stehen.

Das Telefon im Recruitingprozess von Millennials:

Hier noch einmal eine Checkliste:

  • Millennials sind mobil. Viele sind daueronline. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Jugendlichen und jungen Erwachsenen auch immer wieder telefonisch erreichbar sind. Diese Erwartung sollte man nicht haben.
  • Die Mobilbox wird in viele Fällen gar nicht abgehört.
  • Man hat oft gar keine Möglichkeit eine mündliche Nachricht zu hinterlassen.
  • Einige jüngere Kandidaten haben sogar gelernt, dass sie nicht abheben sollen, wenn sie von einer unbekannten Nummer angerufen werden. Wir hatten hin und wieder dann sogar die Eltern am Telefon.
  • Rückrufe funktionieren oft nach dem Motto: „Sie habe mich angerufen…“ Die Businessetikette, dass Anrufer*innen sich mit vollem Namen melden ist oft ausgesetzt.
  • Rückrufe kommen öfters sehr spät. Dadurch fällt die Zuordnung oft sehr schwer.
  • Whats App ist eine Option. Fast alle Bewerber*innen geben an den Kommunikationsdienst zu nutzen.
  • Schreiben ist für viele Menschen der Generation Y und Z einfacher.
  • Nichtreagieren kann zu einer Absage im Bewerbungsprozess führen. Das verstehen viele Jugendliche nicht.
  • Man braucht Geduld und muss es mehrfach zu unterschiedlichen Zeiten versuchen.
  • Man setzt sich ein Limit der Kontaktversuche (bei uns sind es 3 bis 4).
  • Man sollte die Bewerbung auf unterschiedlichen Kanälen beantworten: SMS, Whats App, E-Mail und Telefon. Aber Dauermailing sollte man unterlassen.

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